Menschliche Überreste in der Archäologie

Die physische Anthropologie ist einer der Grundpfeiler bioarchäologischer Forschung. Durch die Untersuchung von menschlichen Skelettresten können Individual- und Populationsgeschichten rekonstruiert, Lebens- und Umweltbedingungen erforscht und – insbesondere in Zusammenarbeit mit Archäologen und Vertretern angrenzender Fachdisziplinen – soziokulturelle Zusammenhänge näher beleuchtet werden.

Die klassischen morphologisch-diagnostischen Analysen von menschlichen Skelettresten bieten eine Reihe von Möglichkeiten, die weit über die Bestimmung der anthropologischen Grundparameter Sterbealter und Geschlecht hinausgehen. Zahlreiche, zumeist nicht-invasive Untersuchungen erlauben es, Umwelt- und Lebensbedingungen von (prä)historischen Bevölkerungen direkt vom Skelett zu rekonstruieren. Ergänzt können diese durch invasive Verfahren wie histologische (z. B. für die Diagnose pathologischer Veränderungen, Altersbestimmung) oder biomolekulare Analysen (z. B. aDNA, stabile Isotopen) werden.

Sterbealter und Geschlecht stellen die Basis für paläodemographische Analysen dar. Durch die Bestimmung der Alters- und Geschlechtsverteilung können Bevölkerungsstrukturen rekonstruiert und Aussagen über Sterblichkeit und Lebenserwartung getroffen werden. Paläodemographische Untersuchungen leisten somit einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung von Lebensbedingungen und soziokulturellen Hintergründen (prä)historischer Populationen.

Paläopathologische Untersuchungen – die Analyse krankhafter, traumatischer und degenerativer Veränderungen am Skelett – erlauben es nicht nur, Individualgeschichten zu rekonstruieren. Da Krankheiten nicht zufällig auftreten, sondern zumeist Ausdruck äußerer Gegebenheiten sind, können sie Einblick in Umwelt- und Lebensbedingungen (prä)historischer Bevölkerungen geben. Mangelerkrankungen, die sich am Skelett manifestieren, lassen beispielsweise Schlüsse auf die Ernährungslage zu, Zahnerkrankungen können Hinweise auf Art und Zubereitungsweise der Nahrung geben. Die Untersuchung von Infektionserkrankungen erlaubt es, klimatische Bedingungen, parasitären Druck und hygienische Verhältnisse zu rekonstruieren. Aufschlüsse über soziale Lebensumstände und Interaktionen, Subsistenz und medizinische Versorgung gibt die Analyse von traumatischen Veränderungen. Durch die Untersuchung von Muskelmarken, Enthesopathien (krankhafte Veränderungen der Muskel- und Sehnenansatzstellen) und degenerativen Veränderungen können Überbeanspruchungen festgestellt und Bewegungsabläufe rekonstruiert werden.

Auch metrische Untersuchungen sind ein wertvolles Mittel, um Umwelt- und Lebensbedingungen von Menschen aus (prä)historischer Zeit näher zu beleuchten. Die Körperhöhe des Menschen ist zwar durch ein genetisches Potential festgelegt, wie weit dieses aber ausgeschöpft wird hängt von äußeren Umständen wie etwa Ernährungs- und Gesundheitszustand, Arbeitsbelastung oder Klima ab. Dementsprechend erlaubt die Körperhöhenrekonstruktion Rückschlüsse auf den Gesundheitsstatus und die allgemeinen Lebensbedingungen der untersuchten Populationen.

Großen Aufschwung nahm in den letzten Jahrzehnten die Analyse von aDNA (ancient DNA, „alte DNA“) von Menschen aus früherer Zeit. Schon aus kleinsten Knochen- oder Zahnproben können – abhängig vom Erhaltungszustand – DNA-Reste sequenziert werden, die Auskunft über das genetische Geschlecht und das Erscheinungsbild eines Individuums oder die genetische Verwandtschaft zwischen Individuen eines Skelettkollektivs geben können. Auch können durch den genetischen Code verschiedener Populationen Migrationsbewegungen bis hin zu Besiedlungsgeschichten von Kontinenten rekonstruiert werden. Aber nicht nur die menschliche aDNA kann analysiert werden: Die Identifikation von aDNA von Erregern diverser Infektionserkrankungen (z. B. Tuberkulose, Pest) aus menschlichen Überresten gibt wertvolle Hinweise auf den Gesundheitszustand von Individuen und Populationen sowie Antworten auf diverse epidemiologische Fragestellungen.

In den letzten Jahren besonders populär geworden sind die Untersuchungen von stabilen Isotopen. Diese werden über Wasser und Nahrung aufgenommen und als Teil von Biomolekülen in den menschlichen Körper eingebaut. So stellen sie wertvolle Informationsquellen für Fragen der Ernährung (Isotopenverhältnisse von Kohlenstoff oder Kohlenstoff und Stickstoff) und Mobilität bzw. Migration (Isotopenverhältnisse von Strontium oder Sauerstoff) dar.

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