Schwangerschaft und Geburt sind schwer zu greifende Themen in der Bioarchäologie, da der direkte Nachweis von Müttern in der Vergangenheit oft auf Sarggeburten oder DNA-Ergebnisse, die eine direkte Verwandtschaft nachweisen, limitiert war. Die medizinhistorische Literatur zeigt, dass Geburten für die Mütter und/oder das Kind regelmäßig tödlich geendet haben, da die Infektionsrate bei Geburten sehr hoch war bzw. ein enger Geburtskanal zu Geburtskomplikationen führen kann. Seit über 50 Jahren sind in der Anthropologie sogenannte knöcherne Geburtsmerkmale am Becken bekannt (parturition scars), die regelmäßig am weiblichen Beckenknochen zu finden sind. Deswegen wurden diese oft als Auswirkungen des körperlich belastenden Geburtsvorganges interpretiert. Problematisch ist aber, dass regelmäßig Mütter keine knöchernen Geburtsmerkmale ausbilden oder diese auch immer wieder am männlichen Becken beobachtbar sind. Der Grund für die Bildung der knöchernen Geburtsmerkmale ist immer noch nicht eindeutig geklärt und in der Anthropologie sehr umstritten.
Das Ziel dieses Projektes war es, knöcherne Geburtsmerkmale mit modernsten analytischen Methoden zu untersuchen, um der Ursache ihrer Entstehung auf den Grund zu gehen. Dafür wurden archäologische Skelette und moderne forensische CT-Daten mit detaillierten Hintergrundinformationen über die Verstorbenen mithilfe geometrisch-morphometrischer, histologischer und multivariaten statistischen Methoden untersucht.
Die Ergebnisse zeigten, dass ein Merkmal, das auch regelmäßig bei Männern zu finden ist (Sulcus präauricularis), hauptsächlich durch eine biomechanische Fehlbelastung entsteht und sich ein Leben lang verändert, wohingegen das sogenannte Dorsal pubic pitting hauptsächlich bei Frauen auftritt und mit Schwangerschaft und Geburt zusammenhängt. Trotz großer individueller Variabilität dieses Merkmals eignet sich das Dorsal pubic pitting für eine Bestimmung der Geburtenanzahl am weiblichen Becken.
In diesem Vortrag werden neue bioarchäologische Methoden zur Bestimmung von Reproduktion in der Vergangenheit vorgestellt sowie Anwendungsmöglichkeiten und Ursachen für die Bildung von knöchernen Geburtsmerkmalen diskutiert. Die vorgestellten Ergebnisse sind nicht auf eine archäologische Anwendung limitiert, sondern bringen auch wichtige Erkenntnisse für den medizinischen und evolutionsbiologischen Bereich zum Verständnis der Auswirkungen von Schwangerschaft und Geburten auf den menschlichen Körper. |
Schwangerschaft und Geburt sind schwer zu greifende Themen in der Bioarchäologie, da der direkte Nachweis von Müttern in der Vergangenheit oft auf Sarggeburten oder DNA-Ergebnisse, die eine direkte Verwandtschaft nachweisen, limitiert war. The medical-historical literature shows that births regularly ended fatally for the mothers and/or the child, as the infection rate during births was very high or a narrow birth canal can lead to birth complications. For over 50 years, anthropologists have known about so-called parturition scars on the pelvis, which are regularly found on the female pelvic bone. These have therefore often been interpreted as the effects of the physically stressful birth process. However, it is problematic that mothers regularly do not develop bony birthmarks or that these are also repeatedly observed on the male pelvis. The reason for the formation of bony birthmarks is still not clearly understood and is very controversial in anthropology.
The aim of this project was to investigate bony birth characteristics using state-of-the-art analytical methods in order to get to the bottom of their origin. To this end, archaeological skeletons and modern forensic CT data with detailed background information on the deceased were examined using geometric morphometric, histological and multivariate statistical methods.
The results showed that a feature that is also regularly found in men (sulcus preauricularis) is mainly caused by biomechanical strain and changes throughout life, whereas dorsal pubic pitting occurs mainly in women and is associated with pregnancy and childbirth. Despite the great individual variability of this feature, dorsal pubic pitting is suitable for determining the number of births in the female pelvis.
In this lecture, new bioarchaeological methods for determining reproduction in the past will be presented and possible applications and causes for the formation of bony birth features will be discussed. The results presented are not limited to archaeological applications, but also provide important insights for the medical and evolutionary biology fields to understand the effects of pregnancy and birth on the human body. |